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Im Jahr 2021 kann Quedlinburg auf ein Vierteljahrtausend Pflanzenzüchtung, Samenbau und Samenhandel zurückschauen. Doch wie begann vor 250 Jahren die Samenzucht in Quedlinburg? Mit welchen Namen ist sie verbunden und welche Spuren sind heute noch zu finden? Antworten dazu lassen sich an der Zentralinsel und 10 Stationen des Quedlinburger Züchterpfads, der von der IG Saatguttradition initiiert wurde und anlässlich dieses Jubiläums eingeweiht werden soll, finden. Einen kurzen Überblick der Entwicklung der Quedlinburger Samenzucht soll dieser Beitrag geben.

Den Grundstein für die Quedlinburger Samenzucht legte 1771 Johann Andreas Grashoff mit seinen garten- und samenbaulichen Arbeiten. Dessen Familie, als eines der ältesten Bürgergeschlechter der Stadt, wurde schon 1330 urkundlich in Quedlinburg erwähnt und stellte fünf Bürgermeister und mehrere Ratsherren (1445-1659). Der Grashoff'sche Wirtschaftshof befand sich in der Langen Gasse 11/12, am Ende einer Sackgasse. Um ihn von den anderen Grashoff‘schen Gartenbaubetrieben zu unterscheiden, nannte ihn der Volksmund „Grashoff im Sack“. Beim Blick auf den Hof lässt sich noch der Zweck des Hofes erahnen.

  Lange gasse alt        1 Martin Grasshoff Lange Gasse 12

Wirtschaftsgebäude Lange Gasse 12, historisch und 2021, Archivbild und Foto: R. Bielau

Seine Frau Marie Elisabeth, geb. Sachtleben, stammte aus einer Familie von Gärtnern und Samenbauern, die mindestens seit Anfang des 18. Jahrhunderts in Quedlinburg sesshaft waren und die Gärtnerei „Am Kleerse“ betrieben. Ihre repräsentativen Wohnbauten im Harzweg zeugen noch heute von einem gewissen Reichtum.

Obwohl bereits vor 1840 Gemüseerbsen und Blumensamen produziert wurden, begann der Aufschwung des Unternehmens Grashoff mit dem Sohn Martin Jakob (1797-1866). Bereits 1841, und damit fast gleichzeitig mit der Firma Mette (1836) brachte M. J. Grashoff erste eigene Samen-Verzeichnisse heraus. Jedoch bewarb der heimische Samengärtner Gottlieb Samuel Rögner schon 1825 in überregionalen Zeitungen seine Sämereien über Anzeigen.

 Martin Grasshoff 1917 Titelblatt a               Martin Grashoff Anzeige

Titelblatt eines Grashoff-Preisverzeichnisses von 1917          Anzeige von Grußdorf/Grashoff

Quelle: beide Abbildungen aus dem Archiv R. Bielau

Nach der Übernahme des väterlichen Betriebes vergrößerte M. J. Grashoff das Grundeigentum auf 87 ha, pachtete zusätzlich 250 ha in der umliegenden Feldflur und errichtete das erste Glasgewächshaus in Quedlinburg. Schnell erkannte M. J. Grashoff die Bedeutung der Zuckerrunkelrübe und beschäftigte sich mit der Züchtung und dem Handel dieser Profit versprechenden Kulturpflanze. Für seine Verdienste wurde er 1864 zum Königlichen Oberamtmann ernannt und bekam um 1884 den Hohenzollernorden.

Nach seinem Tod in der Quedlinburger Cholera-Epidemie 1866 übernahm sein Vetter Ernst Hermann Grußdorf die Firma und führte sie unter dem Grashoff'schen Namen weiter. Erst nach dem Konkurs der Firma erlosch 1929 der Firmenname und sein Sohn Alexander Grußdorf gründete die eigene Firma A. Grußdorf.

Weitere Grashoff'sche Gartenbaubetriebe im Laufe der Saatgutgeschichte befanden sich im Neuen Weg (Karl Grashoff), am Abteigarten (A. Grashoff) sowie in der Heidfeldstraße, der Kurzen Straße und in der Lindenstraße.

Mit dem Namen M. J. Grashoff verbunden waren auch Gustav Adolf Dippe (1824-1890) und David Sachs (1836-1918). Dippe ging als einer von zahlreichen Lehrjungen von 1837 bis 1840 bei Grashoff in die Lehre. Die Brüder G. A. und Christof Lorenz Dippe gründeten 1850 eine der größten Quedlinburger Saatzuchtfirmen. Sachs arbeitete um 1870 als Buchhalter in der Firma Grashoff und gründete 1878 seine eigene Samenzüchterei in der Kleersstraße Nr. 47. Diese vergrößerte er rasch um die Grundstücke 48/49 sowie 51/52 mit Sitz des Unternehmens im Badeborner Weg 4.

Ein weiterer Pionier der Saatzucht absolvierte von 1750 bis 1753 im stiftlichen Abteigarten als Kunst-, Lust- und Handelsgärtner beim bestallten Hof- und Lustgärtner Johann Heinrich Ziemann seine Lehrjahre. Es war der spätere Firmen- und Familiendynastie-Gründer Johann Peter Christian Heinrich Mette. Nach den obligatorischen Lehr- und Wanderjahren kam er 1770 zurück in seine Heimatstadt. Dort betrieb er eine kleine Gärtnerei. Der im September 1783 abgeschlossene Pachtvertrag mit der 38. Äbtissin über ca. 12 ha guten Gartenboden, dem Dechaneigarten südöstlich des Schlossberges im Westendorf, gestattete ihm, seine Vorstellungen zur Samenzucht umzusetzen. Im Jahr 1784 gründete er die Samenzüchterei Mette (Gemüse und Blumen).

Gefördert durch die Auflösung des Freiweltlichen Reichsstiftes auf dem Schlossberg 1806, dessen Verkauf von Ländereien in der Feldflur und die Freiheit vom Flurzwang der Dreifelderwirtschaft, schufen die Kunst- und Handelsgärtner in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche, später deutschlandweite und weltbekannte Unternehmen. Der revolutionäre Siegeszug der Runkel- bzw. Zuckerrübe erzeugte eine Nachfrage nach Rüben mit hohem Zuckergehalt für die später 50 gegründeten Zuckerfabriken zwischen Braunschweig und Nordhausen. Davon profitierte Quedlinburg mit der ersten funktionsfähigen Zuckerfabrik von Hahnewald & Zerbst ab 1834 im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Zehn große bzw. mittelständische Saatzuchtfirmen verdienten mittels umfangreicher Neuzüchtungen und Vermehrungen des Rübensaatgutes im Ausland bis 1945 hohe Profite. Die Gebr. Dippe AG, H. Mette und D. Sachs, ab 1937 Rudolph Schreiber & Söhne, dominierten diesen Wirtschaftszweig. Sorten und Saatgut weiterer landwirtschaftlicher Kulturpflanzen wie Getreide und Kartoffeln, von Gemüse, Blumen und Gewürz-/Heilkräutern trugen den Namen Quedlinburgs als eines bedeutsamen Zentrums deutscher Pflanzenzüchtung und Saatzucht in alle Welt.

In der DDR war die ab 1963 in Quedlinburg angesiedelte VVB Saat- und Pflanzgut das Zentrum der Pflanzenzüchtung und des Samenhandels für alle Kulturen. Zu dem von ihr geleiteten Wirtschaftszweig gehörten der VEB Saat- und Pflanzgut Quedlinburg als ihr Leitbetrieb für gartenbauliche Kulturpflanzenarten sowie das VEG (Saatzucht) "August Bebel". Dieses war aus zahlreichen enteigneten privaten Saatzuchtfirmen entstanden und bewirtschaftete um Quedlinburg über 3.000 ha Zucht- und Vermehrungsflächen.

Das Institut für Pflanzenzüchtung (ab 1972 Institut für Züchtungsforschung) wurde 1947 gegründet. Seine Wurzeln lagen in der Forschungsabteilung der Gebr. Dippe AG und den dortigen hochmotivierten Mitarbeitern wie Gustav Becker, Eugen Claus und Paul Vogel. Eva Pauly und Friedrich Fabig kamen aus der Firma Schreiber hinzu.

JKI

Nach der Wiedervereinigung wurde 1992 die Bundesanstalt für Züchtungsforschung mit Fachinstituten u.a. in Quedlinburg und Aschersleben gegründet. 2006 konnte auf dem Moorberg, einem ehemaligen Zuchtgelände der Gebr. Dippe AG, ein moderner Gebäudekomplex mit Forschungsgewächshaus eingeweiht werden. Das 2008 gegründete Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kultur-pflanzen hat heute dort seinen Hauptsitz und ist u.a. in der Züchtungsforschung an gartenbaulichen Kulturen aktiv.

 

Julius Kühn-Institut mit Gewächshausanlage, Mai 2018, Foto: S. Plaschil

Heute sind noch wenige engagierte Firmen weltweit aktiv wie die satimex QUEDLINBURG GmbH, die International Seeds Processing GmbH (beide Gemüse-, Blumen-, Kräutersaatgut), die Saatzucht Josef Breun GmbH & Co. KG (Getreide) oder das Züchtungsunternehmen Florensis Quedlinburg GmbH (Zierpflanzen).

Mit der für Juni 2021 vorgesehenen Eröffnung des Quedlinburger Züchterpfades wird die IG Saatguttradition in einem Begleitheft und über die separate neue Website noch ausführlicher zu diesem Thema informieren:

www.saatzuchtpfad-quedlinburg.de

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